„Nichts ist am Platz“ 2021 Hugenottenhaus Kassel
Rauminstallation in Zusammenarbeit mit Marco Glashagen
DIE DEKONSTRUKTION DER VERGANGENHEIT Der rückwärts gerichtete Blick, der „regard en arrière“, auf die Historie eines Hauses geschieht, näher betrachtet, immer in der Reflexion des subjektiven Empfindens. Unweigerlich vermischen sich die steinernen Fakten, die historischen Sichtweisen der Architektur, mit dem emotionalen Empfinden des Betrachters oder den Erinnerungen der Bewohner oder Gäste. Allem voran ist jene bestimmte Atmosphäre, die sich nach Jahren im Gedächtnis spiegelt - so wie man Gerüche wahrnimmt, die einen für Bruchteile von Sekunden in die Kindheit katapultieren. Für den Architekten Marco Glashagen ist der sensible Eingriff in die historische Bausubstanz eine Profession, in der jede neue Planung auch eine neue Herausforderung darstellt, die Geschichte eines Baus sensitiv in einen aktuellen Bezug zu setzen. Seine Partnerin in diesem Projekt, die Künstlerin Ingrid Flohry, arbeitet mit malerischen Konzepten, die oft raumgreifend auf die Gegebenheiten von Architektur und Orten reagieren. Nachdem sich Ingrid Flohry schon in einer früheren Installation auf die spezifischen Momente des Hugenottenhauses bezogen hat, reflektiert man nun auf eine andere Periode der jüngeren Geschichte, in der das Haus als Hotel genutzt wurde. Im Gegensatz zu den „chambres d'amis“, den Gästezimmern, in denen immer auch die Einbettung ins Private mitschwingt, reagieren Architekt und Künstlerin nun gemeinsam auf die Situation des vorgefundenen ehemaligen Hotelzimmers. Der radikale Ansatz des Duos bietet bei genauer Betrachtung nicht nur die visuell animierende Dekonstruktion eines kargen Hotelzimmers in kafkaesken Brüchen. Mehr als dies scheint es, als hätte eine „spirituelle Reinigung“ stattgefunden, um die angestaute Vergangenheit des Raums zu überschreiben. Überhaupt ist die Installation als Ensemble wie das Betreten eines Traumes: das Doppelbett finden wir fragmentiert in die Wände eingelassen, von der Gravitation befreit, Boden und Decke finden sich gespiegelt im Raum angebracht. Alles dies wird durch das einströmende Licht und die eigens für den Raum konzipierte Anlage eines raumgreifenden Wandbildes intensiviert, das wie Wasserreflexionen durch das gesamte Zimmer mäandert. Fast möchte man die künstlerische Intervention im Umgang mit dem Raum im positiven Sinn als ein Spektakel sehen, in der ursprünglichen Bedeutung als Schauspiel. Es in Szene setzen, um die Sinne der Betrachter zu reizen und das Thema in ein neues, anderes Erleben des Ortes zu transformieren. Der visuelle Overload, die Zersplitterung des Raumes und das damit einhergehende Ineinanderfließen von Dimensionen, Effekten und Verschiebungen, schaffen ein neues Bedeutungsgefüge, in dem die karge Existenz des ehemaligen Hotelzimmers deplatziert und antiquiert wirkt. Dieses Erleben im Betrachter ist essentiell, es befreit das Denken von den stereotypen Bildern der Vergangenheit und setzt an deren Stelle ein weitgefasstes „was wäre wenn“. Die Zukunft ist eine Projektionsfläche, die Geschichte eine kaleidoskopartige Spiegelung von Ereignissen, von Personen, von Orten und Momenten. Glashagen und Flohry deuten in ihrer radikal ästhetischen Formulierung des Raumes auf eine Zeit zwischen Vergangenheit und Zukunft, auf ein nahes Jetzt, in dem das Gebäude, mit neuen Inhalten angefüllt, seine Bestimmung in der Zeit erfährt.